Installation

Intervention in einem sakralen Raum
Moritzkirche Augsburg
22|02|2007 – 07|04|2007

Eine Kirche steht mitten im Zentrum einer Stadt, Augsburg, an einem Knotenpunkt von Fortbewegungsmitteln, Weltanschauungen, Biografien, mitten in der hektischen Alltagsgeschwindigkeit. Nach einer wechselvollen Geschichte, die bis ins 11. Jhdt zurückreicht, in der einschneidende Ereignisse visuell ihre Spuren hinterließen, zeigte sich das Kirchenschiff in jüngster Vergangenheit als übervolles Sammelsurium von Einbauten und oft beziehungslos arrangierten Gegenständen, wenn auch teilweise von hoher künstlerischer Qualität.

Diese subjektiven Eindrücke lösten die Idee aus, im Rahmen eines Kunstprojektes nicht noch weitere zusätzliche Gegenstände in den Kirchenraum zu bringen, sondern im Gegenteil vorzuschlagen, das Kirchenschiff leerzuräumen. Die Kirche sollte für einige Zeit ein Raum sein, in dem wir nicht visuell mit Antworten bedrängt werden auf Fragen, die wir gar nicht gestellt haben. Sie sollte vielmehr ein Raum sein, der eigene innere Bilder hervorruft.
Die Konzeption von Void baute also auf einem Vorgang der Umkehrung und der Reduktion auf. Nicht e i n räumen, sondern f r e i räumen. Bleiben sollten lediglich die essentiellen Komponenten der Liturgie: Altar, Kreuz, Wort, Licht, Gewand, Mensch, Liebe. Der Kirchenraum selbst wurde als belebte Skulptur begriffen, zusammen mit allen Menschen, die sich darin aufhalten.

Innerhalb einer einjährigen Vorlaufphase konnten zunächst unüberwindlich scheinende kirchenpolitische, organisatorische, verwaltungstechnische Hürden überwunden, der Denkmalschutz überzeugt werden und der Projekt- etat gesichert. In einem langen vorsichtigen Prozess geschah die Einbindung der Kirchengemeinde. Eine große Zahl Freiwilliger beteiligte sich an den Vorbereitungen.
Der Chorraum erfuhr Befreiung von einer massiv störenden, quer eingezogenen Stahlbetonmauer und gewann damit seine ursprüngliche Stärke zurück. Barocke Skulpturen von Georg Petel und E.B. Bendel konnten vorübergehend im Haus der Kunst in München und im Maximilianmuseum in Augsburg in Ausstellungen untergebracht werden. Stühle in freier Anordnung ersetzten die Bänke. Große Stoffbahnen auf Stahlbügeln verhängten die Bögen zu den Seitenschiffen, wie auch die Glasfenster in der Apsis, die, als ‚Kopf‘ der Kirche während des Projektes in besonderem Maße den Charakter der bildfreien Leere erhalten sollte.

Ein besonderes Messgewand war Bestandteil des Raumes. Die Ikone des Kreuzes wurde in Form sich überschneidender Kondensstreifen zweier Flugzeuge [als Digitaldruck einer Fotografie] auf das Gewand übertragen – ein flüchtiger Ausschnitt eines Himmelsbildes. Dieses Kreuz – das einzig verbliebene im Kirchenraum – hatte somit keinen fixen Standpunkt, es folgte vielmehr den Bewegungen des Menschen im Raum. Der Pfarrer zog es zu Beginn jeder Messe vor den Augen der Gläubigen an und nahm das Kreuz auf sich.

Einziges zusätzlich in den Kirchenraum eingebrachtes Element war die simultane Tonübertragung des Windes per Internet-Standleitung von einem Berg in den Alpen. Gedacht als leise Anmerkung eines viel größer dimensionierten Ganzen, durchzog das Windgeräusch auf unvorhersehbare Weise die stark von menschlichen Ordnungsprinzipien – sei es zeitlich oder räumlich – geprägte Struktur der Kirche. Später erfuhr ich, dass der Prophet Elias auf seiner spirituellen Suche nach einigen Fehlversuchen den Herrn schließlich ‚im Säuseln des Windes‘ fand.

Der leere Raum wurde während der sechswöchigen Dauer des Kunstprojektes ganz unterschiedlich erlebt. Für manche bot er ersehnte Befreiung, lang vermisste spirituelle Geborgenheit, für andere zunächst bedrohliche Kargheit. Zwei mögliche Qualitäten von Leerheit: Sie kann erlebt werden als das Fehlen v o n etwas, oder als der Freiraum f ü r etwas.

In Zeiten der Überfülle und Reizüberflutung kann es sein, dass der moderne Mensch ein erschütterndes Schreckerlebnis vor der Stille, der Ruhe empfindet, die aber letztlich doch nur seiner eigenen Befindlichkeit Raum geben. Die Leere führt zu einem Urknall – ein absolutes Komplement. Aber in dieser Leere wäre womöglich die ganze Potentialität ihrer Möglichkeiten erlebbar, wenn man sie gewähren ließe. Ein nicht mehr in allen Einzelheiten vordefinierter Raum gibt jedem Menschen die Notwendigkeit auf, ihn mit etwas Eigenem zu füllen. Ein Akt der Freiheit, kein leichter Akt, nicht mehr gelenkt durch Aussagefelder vorgegebener Strukturen, wie zum Beispiel der blockadenhaften Sequenz der Kirchenbänke, die nicht den freien, leichten Bewegungen der Spiritualität ihren Lauf lassen. Das bewusste Auswählen des eigenen Ortes auf Zeit, die individuelle und kollektive Komposition der Stühle durch die Besucher an jedem Tag entspricht viel mehr dem freien Fluss, der suchende Entwicklungen charakterisiert.

Nach anfänglichen Irritationen zog das Projekt im weiteren Verlauf immer mehr Menschen an, auch über größere Entfernungen hinweg. Auch zahlreiche konfessionell ungebundene Besucher fühlten sich in der Leere aufgehoben.

Der Kirchenraum hatte letztlich so viele Besucher wie selten zuvor in einer vergleichbaren Zeitspanne.

Wäre das eine Utopie von Kirche, dass sie in Überwindung konfessioneller Verschiedenheiten Leerräume von hoher Qualität bereitstellt, in denen der Mensch, welch geistig-spiritueller Herkunft auch immer, die Rahmenbedingungen findet, um zu sich selbst zu kommen? Auf diese Weise Unterstützung zu finden in seinem ‚Werden was er ist‘?

Eine der eindrücklichsten Erfahrungen des ganzen Projektes war das gewaltige Maß an Fülle, welches nötig ist, um Leere erzeugen zu können.

Ich wollte so gerne,
dass der Raum würde,
wie man an einer Muschel horcht